Das Inkrafttreten der BRAO-Reform steht vor der Tür – welche Fragen noch strittig sind?

Ein persönlicher Aufriss von Dr. Hermann Wilhelmer

Die Rechtsfragen zum Versicherungsschutz, die sich aufgrund der BRAO-Reform zum 1.8.2022 neu ergeben, werden in der Praxis intensiv diskutiert. Der nachfolgende Beitrag geht auf jene (ausgewählten) Rechtsfragen ein, die kontrovers (strittig) sind bzw. bei denen eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem tatsächlich rechtlich Gesollten noch offen ist.

  1. Fragen im Zusammenhang mit der Zulassungspflicht
  2. Zur Einordnung von Berufsausübungsgesellschaften als haftungs- oder nichthaftungsbeschränkte Gesellschaft
  3. Zur Einstufung als „kleine“ oder „große“ haftungsbeschränkte Berufsausübungsgesellschaft

1. Fragen im Zusammenhang mit der Zulassungspflicht

  • Per 1.8.2022 werden haftungsbeschränkte und (auf Basis von § 1 Abs. 2 PartGG) erweiterte interprofessionelle Berufsausübungsgesellschaften zulassungspflichtig. Spätestens bis zum 1.11.2022 ist je Berufsausübungsgesellschaft jeweils ein entsprechender Zulassungsantrag bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu stellen. Zulassungspflichtig wird hierbei aber nur eine Minderheit der Berufsausübungsgesellschaften (s. Kilian, NJW 2021, 2385), manche Stimmen am Markt sprechen hingegen (irreführend) davon, „nahezu alle Berufsausübungsgesellschaften“ würden zulassungspflichtig werden. Zulassungspflichtig sind ca. 20% der bestehenden Berufsausübungsgesellschaften (davon sind ca. 18% PartGmbBs und ca. 1% ausländische Berufsausübungsgesellschaften wie UK/US-LLPs) (s. Kilian, AnwBl 2021, 356-357; ders, AnwBl 2021, 478-479; ders, AnwBl 2021, 294-295).
  • Haftungsbeschränkte und bestimmte interprofessionelle Berufsausübungsgesellschaften müssen sich aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung in § 59f BRAO n.F. zulassen. Bis spätestens zum 1.11.2022 muss ein entsprechender Zulassungsantrag bei den zuständigen Rechtsanwaltskammern gestellt werden (§ 209a BRAO n.F.). Sollte diese Frist versäumt werden, gehen einzelne Rechtsanwaltskammern sowie Teile der Stimmen in der Literatur (siehe Zimmermann/Dörne, AnwBl Online 2022, 319, 320) aufseiten der Berufsausübungsgesellschaft von einem Entzug (auch) der Rechtsdienstleistungsbefugnis (nicht nur der Postulationsfähigkeit) aus. Das Recht zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Berufsausübungsgesellschaften (geregelt in § 59k BRAO n.F.) ist nach der hier vertretenen Auffassung allerdings von der Postulationsfähigkeit (diese ist in § 59l BRAO n.F. geregelt) sowie von der Frage der Zulassungspflicht und der Führung von Zulassungsverfahren (siehe dazu die §§ 59f und 59g BRAO n.F.) zu unterscheiden. Der Entfall der Berufsbefugnis gem. § 209a BRAO n.F. bezieht sich (materiell gesehen) denn auch nur auf die Postulationsfähigkeit, die durch § 59l BRAO n.F. konstitutiv begründet und die ohne Zulassung der Berufsausübungsgesellschaft (ohnehin) nicht erreicht wird. Auch bisher leitete sich die Rechtsdienstleistungsbefugnis etwa einer GbR, PartG oder einer PartGmbB von den in ihren tätigen, befugten Gesellschaftern ab (dies wird vom Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien auch weiterhin ausdrücklich anerkannt, s. BT-Drs. 19/27670 zu § 59k BRAO n.F., S. 195). Anwaltsgerichtliche Maßnahmen gem. § 113 BRAO n.F. (wie etwa der Entzug der Rechtsdienstleistungsbefugnis) richten sich nur gegen bereits zugelassene Berufsausübungsgesellschaften, nicht gegen noch nicht zugelassene Berufsausübungsgesellschaften. Wie dem auch sei: Ungeachtet dieser Fragestellung sollte jede zulassungspflichtige Berufsausübungsgesellschaft die Zulassung auch beantragen. Andernfalls würde eine (schon aus Reputationsgründen) nicht zu vertretende Berufsrechtsverletzung begangen werden.
  • Zulassungspflichtige Berufsausübungsgesellschaften können sich die entsprechenden Zulassungsanträge bereits von den diversen Homepages der Rechtsanwaltskammern herunterladen (siehe zum Beispiel https://www.rak-dus.de/zulassungspflicht-fuer-partg-mbb-ab-01-08-2022/, https://www.rak-hamburg.de/mitglieder/formulare/berufsausuebungs-gesellschaften/; https://www.rak-muenchen.de/fileadmin/downloads/01_Rechtsanwaelte/Zulassung_und_Mitgliedschaft/Zulassung/BAG/Zulassungsantrag_BAG.pdf; https://www.rak-koeln.de/content/download/2872/44682/version/6/file/AntragZ12_auf-Zulassung-einer-Berufsausuebungsgesellschaft_NEU.pdf). Die Zulassungsanträge sind recht ausführlich gestaltet worden und werden in der Praxis noch einige Fragen aufwerfen. Die vorbereitenden Maßnahmen zur Zulassung der Berufsausübungsgesellschaft unter Verwendung der Zulassungsbögen sollten daher möglichst bald und konsequent vor dem 1.8.2022 abgeschlossen werden, um (ab dem 1.8.2022) zeitnah den Zulassungsantrag bei der Rechtsanwaltskammer zu stellen und das Zulassungsverfahren einzuleiten.
  • Zum Teil wird kolportiert, die Rechtsanwaltskammern würden für zugelassene Berufsausübungsgesellschaften unterschiedlich hohe Verwaltungsgebühren bzw. Kammermitgliedsbeiträge vorsehen. Richtigerweise wird wohl – wie dies auch der Gesetzgeber annimmt – von jenen Gebühren bzw. Kammerbeiträgen auszugehen sein, wie sie bei der Zulassung der RA-GmbH praktiziert wurden/werden. Manche Rechtsanwaltskammern dürften nach unserer Einschätzung mit Blick auf den Zulassungsvollzug und die damit verbundenen Zulassungskriterien liberaler sein als andere Rechtsanwaltskammern. Insofern kann es entscheidungsrelevant sein, bei welcher Rechtsanwaltskammer eine Berufsausübungsgesellschaft sich zulässt, sofern diese Frage gestaltbar ist.

2. Zur Einordnung von Berufsausübungsgesellschaften als haftungs- oder nichthaftungsbeschränkte Gesellschaft

  • Gemäß § 59o Abs. 1-3 BRAO n.F. beträgt die Pflichtversicherungssumme für nicht haftungsbeschränkte Gesellschaften (u.a. für die GbR, oHG, PartG) € 0,5 Mio., für haftungsbeschränkte Gesellschaften (u.a. für die PartGmbB, GmbH & Co KG, GmbH, AG), wenn sie groß sind (d.h. ab 11 Berufsträgern) € 2,5 Mio., wenn sie klein sind (also bei weniger als 11 Berufsträgern) € 1,0 Mio.
  • Herrschend ist die Ansicht, die KG mit natürlichen Personen sei nach dem Willen des Gesetzgebers eine haftungsbeschränkte Gesellschaft (siehe etwa Kilian, NJW 2022, 2385, Zimmermann/Dörne, AnwBl Online 2022, 321, Zimmermann/Hartung, NJW 2022, 1792, 1973; siehe zudem AnwBl Online 2022, 406). Ob diese Rechtsauffassung, die sich tatsächlich aus der Gesetzesbegründung (siehe BT-Drs. 19/27670 zu § 59o Abs 1 BRAO n.F., S. 198−199), nicht jedoch aus dem Wortlaut des § 58o Abs 1 BRAO n.F. ergibt, wirklich trägt und dem Gesetzeswortlaut in § 59o Abs 1 BRAO n.F. („keine natürliche Person haftet rechtsformbedingt oder die Haftung von natürlichen Personen ist beschränkt“) derogiert (bei einer einfachen KG haftet jedenfalls der Komplementär unbeschränkt, s. § 161 Abs. 2 i.V.m. § 128 HGB, insofern liegt keine rechtsformbedingte Haftungsbeschränkung „aller“ natürlichen Personen vor), kann nach hier vertretener Auffassung (sowie aus der Logik und der Systematik des § 58o BRAO n.F.) mit guten Gründen bezweifelt werden (siehe so auch Diller, AnwBl 2022, 225−226). Aus Gründen der Vorsicht und bis zu einer gerichtlichen Klärung dieser Rechtsfrage sollte die KG als haftungsbeschränkte Gesellschaft eingeordnet werden mit der damit verbundenen entsprechend höheren Versicherungspflicht von € 2,5 Mio. (siehe zu dieser Empfehlung auch AnwBl Online 2022, 406). Liegt auf der Ebene des Komplementärs ohnehin (auch) eine haftungsbeschränkte Gesellschaft etwa in Form einer GmbH vor, ist die KG zweifelfrei als haftungsbeschränkte Gesellschaft einzuordnen (siehe so auch Diller, AnwBl 2022, 226). Die Pflichtversicherungssumme bei der GmbH & Co KG beträgt diesfalls ebenfalls € 2,5 Mio.
  • Die UK-LLP (mit Verwaltungssitz in UK) ist (nach der hier vertretenen Auffassung) grds. als haftungsbeschränkte Gesellschaft einzuordnen. Auch wenn nach dem Haftungsregime des Sitzortes in UK die handelnden Partner dem Mandanten gegenüber aus Delikt direkt haften, findet (bei Dienstleistungserbringung) durch die LLP in Deutschland deutsches Recht auf das Anwaltsmandat Anwendung, sodass es zu keiner persönlichen Haftung der Partner neben der LLP kommt (siehe Diller, AnwBl 2022, 226). Mit Einführung der PartGmbB hat der deutsche Gesetzgeber dieses kombinierte Haftungsregime akzeptiert (siehe Kerstges, AnwBl Online 2021, 116, 118; ebenso Henssler, NJW 2014, 1761, 1763 ff) (zur Diskussion siehe zum Teil anders Diller, AnwBl 2022, 226, der die Einstufung der UK-LLP als nicht haftungsbeschränkte Gesellschaft erwägt). Die UK-LLP hat eine Versicherungssumme von € 2,5 Mio. vorzuhalten.
  • Etwas anderes kann gelten, wenn die Gesellschaftsform der US-LLP nach dem Recht ihres Heimatortes (des jeweiligen bundestaatlichen Rechts in den USA) als solche gar nicht enthaftend wirkt. Nach der hierzu anzuwenden Sitztheorie liegt diesfalls auch nach deutschem Recht keine haftungsbeschränkte Gesellschaft vor, weshalb vertreten werden kann, dass für derartige US-LLPs gem. § 59o Abs. 3 BRAO n.F. nur eine Pflichtversicherungssumme von € 0,5 Mio. vorzuhalten ist. Ob dies im Einzelfall sinnvoll ist, ist im Detail zu prüfen.

3. Zur Einstufung als „kleine“ oder „große“ haftungsbeschränkte Berufsausübungsgesellschaft

  • Gemäß § 59o Abs. 4 BRAO n.F. richtet sich die Höhe der Pflichtversicherungssumme nach der Anzahl der in der Berufsausübungsgesellschaft tätigen Berufsträger (Befugnisinhaber). Nicht maßgeblich ist – wie im Zusammenhang mit der Jahreshöchstleistungsregelung gem. § 59o Abs. 1-3 BRAO n.F. – die Anzahl der Gesellschafter bzw. der Geschäftsführer, die nicht Gesellschafter sind. Sind in einer Berufsausübungsgesellschaft 11 Berufsträger oder mehr soziiert bzw. (auch als Angestellte) „tätig“, gilt bei haftungsbeschränkten Gesellschaften die Pflichtversicherungssumme in Höhe von € 2,5 Mio., ansonsten die geringere Pflichtversicherungssumme in Höhe von € 1,0 Mio.
  • Kontrovers diskutiert wird, welche Berufsträger bei einer gemischten Sozietät zu berücksichtigen sind. Zum einen wird die Ansicht vertreten, dass – nach der BRAO – gleichwohl nur Rechtsanwälte als Berufsträger zählmaßgeblich sind (siehe Riechert, AnwBl 2022, 104−105). Nach anderer Ansicht (und nach dem klaren Gesetzeswortlaut in § 59o Abs 2 BRAO n.F. zutreffend) sind bei der Zählung (gem. § 59c Abs 1 BRAO n.F. ) auch Berufsträger aus einem sozietätsfähigen Beruf zu berücksichtigen (siehe etwa auch Kilian, AnwBl 2021, 228-229).

Die BRAO-Reform ist ein Meilenstein in der Anpassung des anwaltlichen Berufsrechts. Es lieg in der Natur der Sache, dass jedes neue Gesetz auch Unklarheiten mit sich bringt. Viele Rechtsfragen, die mit der BRAO-Reform einhergehen, werden in der Zukunft geklärt werden oder offenbleiben, außer der Gesetzgeber greift mit weiteren Regulierungen/Klarstellungen in das Gesetzesgefüge ein.

Zwischen dem ausgelegten Rechtsverständnis (also dem was tatsächlich rechtlich gilt bzw. gelten soll) und einer vorsorglichen Vertragsgestaltung bei Versicherungsschutz kann und muss es jedoch konzeptionelle Unterschiede geben, die in der Beratungspraxis zu berücksichtigen sind.

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