Seit dem Wirecard-Skandal ist die Haftung von Abschlussprüfern in den Fokus gerückt. Das Haftungsregime wurde erst 2021 durch das Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) spürbar verschärft. Vor diesem Hintergrund sorgt eine Entscheidung des LG Mainz (Urt. vom 25.01.2023 – Az. 5 O 82/22) zugunsten von Abschlussprüfern für eine kleine Trendwende. Danach haftet der Abschlussprüfer gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht für einen Insolvenzvertiefungsschaden infolge verspäteter Insolvenzantragstellung, wenn ein Verstoß gegen seine Hinweis- und Warnpflichten diese begünstigt haben. Das LG Mainz überträgt mit seiner Entscheidung die Rechtsprechung des BGH zur Geschäftsführerhaftung auf den Abschlussprüfer.
-
Hinweis- und Warnpflichten des Abschlussprüfers
Der Abschlussprüfer ist im Rahmen der Abschlussprüfung verpflichtet, die Gesellschaft, konkret den Geschäftsführer und die Mitglieder der Überwachungsorgane (i.d.R. die Gesellschafterversammlung), auf Anhaltspunkte für eine mögliche Insolvenzreife der Gesellschaft hinzuweisen (§ 323 Abs. 1 S. 1 HGB). Seit Einführung des StaRUG ist eine entsprechende Hinweis- und Warnpflicht auch dort manifestiert (§ 102 StaRUG).
Verletzt der Abschlussprüfer diese Pflichten, ist er der Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet (§ 323 Abs. 1 S. 3 HGB). Dritten gegenüber haftet der Abschlussprüfer hingegen nicht. -
Keine Abschlussprüferhaftung gegenüber dem Insolvenzverwalter für Insolvenzvertiefungsschaden
Vor diesem Hintergrund hat das LG Mainz in seinem Urteil festgestellt, dass Abschlussprüfer gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht für einen Insolvenzverschleppungsschaden der Gesellschaft haften. Jedenfalls ist der Insolvenzverwalter nicht befugt, einen solchen Insolvenzverschleppungsschaden als Schaden der Gesellschaft gegenüber dem zuständigen Abschlussprüfer geltend zu machen.
Was war passiert?
Der klagende Insolvenzverwalter verlangte Schadensersatz vom Abschlussprüfer mit der Begründung, die Gesellschaft habe sich schon lange vor Insolvenzantragstellung in einer schweren Krise mit erheblicher Unterdeckung befunden. Deshalb habe der Abschlussprüfer kein uneingeschränktes Testat mehr erteilen dürfen. Nach Ansicht des Klägers wäre es bei ordnungsgemäßem Hinweis seitens des Abschlussprüfers zu einer deutlich früheren Insolvenzantragstellung gekommen. Den laut Kläger daraus folgenden Schaden (Insolvenzverschleppungsschaden) machte er vor dem LG Mainz gegen den Abschlussprüfer und die Prüfungsgesellschaft geltend.
Verbot der Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 1 InsO) schützt nicht die Gesellschaft selbst
Das LG Mainz wies die Klage mit der Begründung ab, der Insolvenzverwalter sei gar nicht befugt sei, diesen Insolvenzverschleppungsschaden als Schaden der Gesellschaft gegenüber dem Abschlussprüfer geltend zu machen.
Die Entscheidung des LG Mainz ist in ihrer Begründung zutreffend. Denn durch das Verbot der Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 1 InsO) sollen Gläubiger der Gesellschaft geschützt werden, nicht aber die Gesellschaft selbst. Folglich kann der Insolvenzverwalter als Vertreter der Gesellschaft einen aus der Insolvenzverschleppung folgenden Schaden auch nicht gegen den Abschlussprüfer geltend machen.
Übertragung der BGH-Rechtsprechung zur Geschäftsführerhaftung auf den Abschlussprüfer
Das LG Mainz hat mit seiner Entscheidung die Rechtsprechung des BGH zur Geschäftsführerhaftung im gleichen Kontext aufgegriffen. Der BGH entschied bereits 1998, dass der Insolvenzverwalter (damals Konkursverwalter) nicht berechtigt ist, einen Schaden der Neugläubiger gegen den Geschäftsführer geltend zu machen (BGH, Urt. v. 30.03.1998 – II ZR 146/96).
Die Übertragung leuchtet ein. Schließlich geht es bei der Insolvenzverschleppung nicht um einen Schaden der Gesellschaft, sondern um einen Schaden der Neugläubiger. Folglich ist unerheblich, gegenüber wem der Insolvenzverwalter diesen Schaden geltend machen will. In allen Konstellationen ist er dazu nicht befugt, denn ein Schaden der Gesellschaft liegt aufgrund des Schutzzwecks der Insolvenzverschleppungshaftung gerade nicht vor. Eine Dritthaftung trifft den Abschlussprüfer im Übrigen auch nicht (§ 323 Abs. 1 S. 3 HGB). -
Keine Abwälzung der Überwachungspflichten auf den Abschlussprüfer
Das LG Mainz stellt in seiner Entscheidung außerdem – zurecht – klar, dass die Geschäftsüberwachung originäre Aufgabe der Geschäftsleitung sei. Folglich könne sich die Geschäftsleitung nicht pauschal durch Verweis auf die Abschlussprüfung von einer verspäteten Insolvenzantragstellung freisprechen. Im konkreten Einzelfall hätte sich der Geschäftsleitung die Insolvenzreife schon frühzeitig selbst aufdrängen müssen. Fehler in der Abschlussprüfung können in einem solchen Fall also nicht zu einer Verschiebung der Geschäftsführerhaftung hin zum Abschlussprüfer führen. Insofern ist ein erhebliches Mitverschulden der Geschäftsleitung (§ 254 BGB) zu berücksichtigen, dass die Haftung des Abschlussprüfers vollständig ausschließen kann.
Davon kann sich auch der klagende Insolvenzverwalter nicht freisprechen. Denn diesem ist das Verschulden der Geschäftsleitung analog § 31 BGB zuzurechnen.
Das LG Mainz hat damit noch einmal deutlich gemacht, dass der Prüfauftrag an den Abschlussprüfer – trotz etwaiger Hinweis- und Warnpflichten des Abschlussprüfers – keinen haftungsrechtlichen Freibrief für die Geschäftsführer mit sich bringt.
Wir begleiten unsere Kunden umfassend auch bei komplexen Schadenfällen und stellen insbesondere eine zügige und vollständige Versicherungsleistung sicher. -
Fazit
- Abschlussprüfer treffen im Rahmen der Abschlussprüfung Hinweis- und Warnpflichten. Bestehen Anhaltspunkte zur Insolvenzreife, ist die Geschäftsführung auf diese Umstände hinzuweisen.
- Der Insolvenzverwalter ist nicht befugt, einen Insolvenzverschleppungsschaden der Neugläubiger als Schaden der Gesellschaft gegenüber dem Abschlussprüfer geltend zu machen.
- Die Geschäftsführung wird durch den Prüfauftrag zur Abschlussprüfung nicht vollständig von ihrer Überwachungspflicht frei. Ein erhebliches Mitverschulden der Geschäftsführung kann die Haftung des Abschlussprüfers trotz Pflichtverletzung vollständig ausschließen.
- Melden Sie sich gerne bei uns, sofern Sie eine Einschätzung zur Haftungssituation oder Hilfe im konkreten Schadenfall benötigen.